Erbe Pt.6

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    Salz
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Ich öffne meine Augen, alles ist schwarz. Ich spüre, dass ich im Bett liege. Langsam sehe ich verschwommene Bilder. Beim mühseligen Aufstehen knarrt das Lattenrost unter der Matratze und ein leichter Schauer fährt mir durch den Körper. In den wenigen Lichtstrahlen, die sich in mein Zimmer verirrt haben, sieht man feinen Staub schweben. Meine Lunge kratzt beim Atmen. Ich habe nie geraucht, aber seit Kriegsende besteht mein Tag aus Pfeifenköpfe stopfen und sich um den Garten kümmern. Als wir erfuhren, dass meine älteren Brüder nicht wieder Heim kommen würden, war Mutter nicht mehr dieselbe. Ich bin als Letzter übrig geblieben. Schon in frühen Jahren plagte mich Epilepsie und Wahrnehmungsstörungen, deswegen wurde ich als kampfunfähig erklärt und durch mein wohlhabendes Elternhaus musste ich dem Land nicht dienen. Mutter starb zwei Jahre nach Kriegsende. Als sie im Schlaf aufhörte zu atmen, sprang mit ihrem letzten Atemzug ihr Leiden auf Vater über. Durch meine täglichen Aussetzer konnte ich meiner Familie nie eine große Hilfe sein und auch nicht als ich mit Vater allein war. Ich verlasse das Haus nicht oft. Es ist zu gefährlich, wenn ich auf offener Straße, ohne Begleitung, einen Anfall bekomme. Als Vater noch lebte, habe ich ihn gelegentlich auf den Wochenmarkt begleitet. Vater saß nach Mutters Tod die meiste Zeit in seiner Bibliothek und wollte von niemanden gestört werden. Als ich, nachdem ich ihn fünf Tage nicht mehr gesehen habe, einen beißend, modrigen Geruch aus dem Flur zur Bibliothek wahrnahm, wusste ich, dass ich nun alleine bin. Ich bekam das volle Erbe: ein zweistöckiges Haus mit Garten, Mutters Schmuckkasten, Vaters Goldschätze aus seinen Orientexpeditionen und ein ausgezahltes Dienstmädchen. Ich setze mich stöhnend auf, versuche mich zu orientieren, reibe mir die Augen und öffne blind meine Nachttischschublade. Ich greife ins Leere. Ich gucke mit angestrengtem Blick Richtung Fensterbank. Ich dachte mir schon, dass ich meine Pfeife dort liegen gelassen habe, denn obwohl ich alleine in meinem Elternhaus lebe, rauche ich abends noch heimlich am offenen Fenster. Früher wollte Vater nicht, dass ich im Hause rauche. In solchen Momenten fühle ich mich nicht mehr alleine. Ich gehe langsamen Schrittes Richtung Fensterbank, nehme mir meine auffallend leichte Tabakdose und lehne mich an den Fensterrahmen. Mit dem letzten Rest bröseligen Tabaks stopfe ich mir den Pfeifenkopf und werfe einen verstohlenen Blick in die aufgehende Sonne.

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